HAMELN. Tätowierungen sind eigentlich eine bunte Sache, doch dem hat die EU-Kommission einen Riegel vorgeschoben. Durch eine Reform der „Reach-Verordnung“ sind seit Januar, fast alle Farben verboten, die in den letzten Jahren beim Tätowieren eingesetzt wurden. Die Verordnung regelt, welche chemischen Stoffe in der EU zugelassen sind, und soll so die Risiken für die Gesundheit minimieren. Im Moment darf deshalb nur in Graustufen legal tätowiert werden. Bei den Tätowierern René „Exi“ Exner und Erich Eisenhauer führt die Regelung zu Kopfschütteln und Unverständnis.
„Ich darf die alten Farben nicht mal mehr im Laden lagern, weil es ja sein könnte, dass ich sie benutze“, berichtet René „Exi“ Exner sichtbar belustigt. Für seinen Beruf bedeutet das Farbverbot eine große Veränderung. Nicht jeder potenzielle Kunde sei an einer Tätowierung in Graustufen interessiert. In Beratungsgesprächen seien ihm deshalb schon mehrmals Kunden abgesprungen, die lieber auf neue, bunte Farben warten wollen.
Alternativen werden mit Skepsis erwartet
Selbst die Farbgemische in Graustufen seien im Moment rar, denn es gebe nur wenige Hersteller, die den Bedarf einer ganzen Branche decken müssten. „Viele wollten natürlich gleich in Massen kaufen“, berichtet Exner, der selber von seinem Zulieferer nur zwei Flaschen pro Bestellung bekommt. Er ist sich sicher, dass es in Zukunft wieder möglich sein wird, in Farbe zu tätowieren. So würden Hersteller bereits an Lösungen arbeiten.
René Exners Farbauswahl ist im Moment sehr eingeschränkt. Foto: Dana
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Bis dahin müssen die Werke aber grau bleiben. Auf diese Alternativen wartet er mit Skepsis. Denn bei neuen Zusammensetzungen gehe es um weit mehr als nur um den Farbton. Auch die Konsistenz spiele für sein Handwerk eine Rolle. Schließlich wisse niemand, wie gut sich die neuen Farben verarbeiten lassen. „Ich kann dann auch gar nicht mehr sagen, ob das Tattoo auch in fünf oder zehn Jahren noch gut aussieht“, so der Tätowierer weiter.
Berufsverband kritisiert Verbot
Exner sagt, dass die neue Regelung besonders Tätowierer vor Probleme stellt, deren Stil auf bunten Farben basiert. „Wenn man zum Beispiel ein klassisches Schiff tätowiert und dann keine Akzente in Farbe setzen kann, ist das schlecht“, führt er aus. Natürlich gebe es auch eine wirtschaftliche Komponente: „Letztlich sind Tätowierer auch Steuerzahler, es wäre doch blöd, wenn diese Jobs wegfallen.“
Kritik kommt auch vom Berufsverband „Bundesverband Tattoo“. Dieser habe sich mehrmals im Vorfeld geäußert und sowohl auf die Probleme der Umsetzung und die zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen für die Branche hingewiesen, heißt es in einer Stellungnahme. „Zu behaupten, man habe sich (soweit erkennbar) auf EU-Ebene auch nur im Ansatz mit den vielen wohlbegründeten Einwänden von Fachwissenschaftlern auseinandergesetzt, wäre unwahr.“, so der Berufsverband.
Tätowierer sind in ihrer Arbeit eingeschränkt
René Exner beschäftigt in seinem Studio vier Tätowierer, die alle mit unterschiedlichen Stilen arbeiten. Der Betrieb geht weiter. Doch manche seiner Kollegen sind – wie er selbst – in ihrer Arbeit eingeschränkt. Sein Wunsch ist, dass die Verordnung wieder rückgängig gemacht wird. Dass durch die Farben tatsächlich große Risiken entstehen, glaubt er nicht. Als Kompromiss könnte er sich eine Regelung vorstellen, in der die Kunden ausdrücklich in die Verwendung der als bedenklich eingestuften Farben einwilligen müssen und somit auf eigenes Risiko handeln. Doch letztlich bleibe ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten und sich auf die Situation einzustellen.
Tattoo-Urgestein will weitermachen
Ähnlich wie Exner sieht es auch Erich Eisenhauer aus Hameln. Doch der gibt sich weit weniger diplomatisch. „Das Tätowieren soll unterbunden werden, weil es der Gesellschaft nicht passt“, ist sich der Tätowierer sicher. Auch Eisenhauer glaubt, dass die Farben nicht in einem solchen Maße gesundheitsgefährdend sein können, dass ein Verbot gerechtfertigt ist. Die Erfahrung der letzten 45 Jahre habe ihm etwas anderes gezeigt.
Eisenhauer sagt, ihm seien bereits etwa 20 Prozent seiner Kunden abgesprungen. Zudem habe er Kunden, deren großflächige Tätowierungen im letzten Jahr nicht beendet werden konnten und die nun mit halb fertigen Bildern dastehen. „Die Kunden rufen an und sind entsetzt“, berichtet Eisenhauer.
Nicht nur deshalb hat der alteingesessene Künstler nicht vor, sich an das Verbot zu halten. „Ich fange auch neue Bilder an“, gibt sich Eisenhauer kämpferisch. Er glaubt, dass sein Handwerk durch das Verbot einen Rückschritt machen könnte und mancher Tätowierer anfangen wird, privat in Kellern und Wohnzimmern zu arbeiten. Dabei hätten sich die Sicherheits- und Hygienestandards in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert und sich die Branche insgesamt professionalisiert. „Eigentlich müssten wir alle gemeinsam auf die Straße oder nach Berlin gehen“,meint Eisenhauer.
Konzern weißt Vorwürfe zurück
Die einzige Firma, die zurzeit bunte Tattoofarben herstellt, die in der Europäischen Union legal sind, ist der Konzern Edding. Doch das Unternehmen teilt die Produkte bisher nicht mit den Tätowierern. Und betreibt stattdessen ein eigenes Studio. „Die wollen jetzt das Monopol“, vermutet Eisenhauer.
Dem widerspricht Gregor Hintz, Pressesprecher von Edding. Die Farben seien auf Grundlage der Regularien, die schon länger für jedermann einsehbar seien, entwickelt worden. Diese würden aktuell in überschaubaren Mengen für das eigene Tattoostudio produziert. Die Herstellung sei „ziemlich aufwändig“. Alle großen Hersteller hätten zudem konforme Farben für dieses Frühjahr angekündigt. „Mit einem Studio und unserer moderaten Menge an Farben wird es schwerlich zum Tattoo-Monopol reichen“, betont der Pressesprecher.
Den Vorwurf nur schnelles Geld verdienen zu wollen, möchte sich Hintz nicht gefallen lassen. In puncto Kapitalismus unterscheide sich die Firma Edding als mittelständisches Familienunternehmen stark von den großen US-Farbherstellern. „Diese gehören nämlich allesamt Finanzinvestoren, also waschechten Heuschrecken und Turbokapitalisten.“
DEWEZET
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